Film | Orlacs Hände (1924)
Orlacs Hände (1924)
Regie: Robert Wiene
Der Film gehört zu Klassikern des Horrorfilms, halb Kunstfilm, halb Splatter-Film: ein Pianist gerät in die Fänge eines gerissenen Verbrechers, der den psychisch labilen Künstler auf einen Horrortrip schickt und ihn zum vermeintlichen Mörder seines Vaters werden lässt. ORLACS HÄNDE ist mit den beiden Stummfilm-Ikonen Conrad Veidt als Paul Orlac und Fritz Kortner als seinem sinistren Gegenspieler hochkarätig besetzt und markiert einen der Höhepunkte des expressionistischen Stummfilms.
Bei einem Zugunglück verliert der Konzertpianist Paul Orlac beide Hände. Um ihm das Klavierspielen weiter zu ermöglichen, transplantiert man ihm die Gliedmaßen des soeben hingerichteten Raubmörders Vasseur. Operation und Heilung verlaufen reibungslos, doch als Orlac erfährt, dass er „Mörderhände“ trägt, quält ihn die Vorstellung, unter dem Einfluss des Verbrechers zu stehen. Als schließlich sein Vater tot aufgefunden wird – erstochen mit einem Dolch, der Vasseurs Fingerabdrücke aufweist – droht Orlac, wahnsinnig zu werden… Erst als der Mord als die Tat eines Verbrechers aufgeklärt wird, der für den Mord an Orlacs Vater ebenso verantwortlich ist wie für die Tat, wegen der Vasseur hingerichtet wurde, ist Orlac erlöst.
Die Vorlage für ORLACS HÄNDE stammt von dem französischen Fantasy-Autor Maurice Renard. Sein Buch erschien 1920 und erlebte vier weitere Verfilmungen: 1935 unter dem Titel Mad Love mit Peter Lorre, drei weitere in den 1960er und 90er Jahren. Kaum eines dieser Remakes reicht an das Original von 1924 heran, auf ARTE in einer aktuellen Restaurierung vom Filmarchiv Austria zu sehen.
Die neue Musik stammt von dem deutschen Komponisten Johannes Kalitzke, geschrieben für Kammerensemble, zwei Klaviere und Sampler. Mit dieser Besetzung erkundet die Musik die psychologische Entwicklung des Pianisten Paul Orlac, exemplifiziert an seinem, auf drei Instrumente verteilten Klavier: Neben dem klassischen gibt es ein präpariertes Klavier als ‚dunkles Schattenklavier’ und einen elektronischen Sampler, in dem das Klangmaterial aus dem Innenraum ein Eigenleben führt.
Paul Orlac Conrad Veidt
Yvonne Orlac Alexandra Sorina
Orlac als alter Mann Fritz Strassny
Diener Paul Askonas
Regine Carmen Cartellieri
Dr. Serral Hans Homma
Nera Fritz Kortner
Regie Robert Wiene
Sonstige Mitwirkung Henning Lohner
Paul Mercer
Berolina Film GmbH
Pan Films
Autor Maurice Renard
Kamera Hans Androschin
Günther Krampf
Drehbuch Ludwig Nerz
Biographie Robert Wiene
Robert Wiene (1873-1938) kam nach einem Jurastudium übers Theater zum Film. Als Regisseur von ‚Das Cabinet des Dr. Caligari‘ (1919) ging er in die Filmgeschichte ein und inszenierte bis 1926 eine Serie hochkarätiger Filme wie Genuine‘ (1920), ‚Raskolnikow‘ (1923), ‚Orlacs Hände’ (1924) und zuletzt die Filmadaption der Strauss-Oper ‚Der Rosenkavalier‘. In der NS-Zeit musste Robert Wiene emigrieren und landete nach Zwischenstationen in Budapest und London in Paris. Der Versuch, den Caligari-Stoff zusammen mit Jean Cocteau als Tonfilm neu zu produzieren, scheiterte. Er starb 1938 in Paris.
Zur neuen Musik von ORLACS HÄNDE
„Stummfilme des Expressionismus“, so der Komponist Johannes Kalitzke „verstehen sich als genuine Kunstform und nicht zuerst als Entertainment. Für die Musik ist es nicht damit getan, das bewegte Bild nur zu illustrieren. Es geht auch darum, die psychologischen Hintergründe zu kommentieren. Im Film ‚Orlac´s Hände‘ sind es zum größten Teil die Projektionen und Angstneurosen der Hauptperson, die Verlustängste des Künstlers und Menschen, die in der Musik zum Ausdruck kommen.“
Der aus Köln stammende und in Wien lebende Komponist erarbeitete im Auftrag des Stuttgarter Kammerorchesters und ARTE für diesen Stummfilm im Jahr 2018 eine „Partitur der Ängste“; da es hier um einen Pianisten geht, der durch ein tragisches Unglück seine Hände verliert und in albtraumhafte Panikzustände gerät, als er erfährt, seine neuen Körperteile hätten einst einem Mörder gehört, ist es vor allem der Klavierpart, der neben dem Streicherapparat das prägende Klangelement ist: Aufgespaltet in drei instrumentale Klangtypen – originale, präparierte und gesampelte Klavierklänge – nehmen sie ein musikalisches Motiv von F. Chopin, das im Film für die Karriere des Protagonisten und seiner gefährdeten Existenz steht, zum Ausgangspunkt der Komposition.
Orlac ist ein frühes Beispiel für einen traumatisierten „Untoten“ seines eigenen, medialisierten Erfolges, und Johannes Kalitzke hat sich mithilfe von Klängen vom Innenraum des Klaviers in den Kopf und die dunklen Räume des Paul Orlac hineinversetzt. Mit dieser Filmfigur bringt er dem Zuhörer von heute nicht nur das phantastische cineastische Werk von Robert Wiene musikalisch nahe, sondern schafft den Spagat, unsere postmoderne Sichtweise auf Zeiten des Stummfilms kommentierend zum Klingen zu bringen.
Ebenfalls mit der Musik von Johannes Kalitzke lieferbar:
SCHATTEN – EINE NÄCHTLICHE HALLUZINATION (1923)
Ein Film von Arthur Robison
Das vergessene Meisterwerk des expressionistischen Stummfilms: ohne Zwischentitel produziert, entfaltet es seine Wirkung durch das Zusammenwirken der Kameraarbeit von Fritz Arno Wagner und dem grandiosen Ensemble um Fritz Kortner als eifersüchtigen Ehemann. Rekonstruiert und mit neuer Musik von Johannes Kalitzke liegt dieses hochartifizielle Lichtspiel wieder in einer hochwertigen Fassung vor. DVD, s/w, 85 Min. + 6 Min. Bonus, Bestnr. 3009
- Inhaltsübersicht
Kapitel
1.Gleise
2.Sinfonia
3.Toccata
4.Schritte
5.Überlappungen
6.Rückwege
7.Spiegelungen- Credits
-
Musik: Johannes Kalitzke, eingespielt vom Stuttgarter Kammerorchester
Regie: Robert Wiene
Produktion: Conrad Veidt, Fritz Kortner
Produktionsland: AT
Produktionsjahr: 1924
- Pressestimmen
“Ein Horrorfilm, dessen Schrecken vom eigenen Körper kommt, von Robert Wiene, vier Jahre zuvor hatte er den “Caligari” gemacht. Das große Thema des deutschen stummen Kinos, das Zusammenspiel von Hirn und Herz und Händen." Süddeutsche Zeitung
“Die beiden Stummfilmgrößen Conrad Veidt und Fritz Kortner sind wuchtige Gegenspieler, hier der labile Künstler in allen Nuancen des Leidens, dort ein skrupellos manipulativer Verbrecher. Zunächst ist man irritiert, aber dann entfaltet die moderne Vertonung einen ganz eigenen Reiz. Nach Die Weber und Schatten ist dies schon Kalitzkes dritte Filmsinfonie für einen expressionistischen Stummfilm, in diesem Fall geschrieben für drei Pianisten und Streicher. Die Nocturne von Chopin, die Orlac am Anfang spielt durchzieht den Film und wandelt sich mit dem zunehmend labilen Geisteszustand des Pianisten, dessen neue Hände sich scheinbar verselbstständigen. Die Filmmusik ist hier nicht einfach nur wie sonst üblich ein dramaturgischer Leitfaden und Gefühlverstärker. Klassische Pianoklänge werden experimentell erweitert und verfremdet, mit perkussiven Tönen aus dem Innenraum eines manipulierten Klaviers. Die Übergänge von der Filmmusik zum Sounddesign sind fließend.” RBB Kultur
“Der Film verbindet realistische Kriminalfilm-Motive mit Elementen der seinerzeit noch jungen Wissenschaft der Psychologie. „Orlacs Hände“ spielt dabei sehr geschickt mit Bewusstseinslagen der bewegt-unsicheren 1920er-Jahre.Die Geheimnisse der Seele, das Motiv der gespaltenen Persönlichkeit, die Gratwanderung zwischen Gut und Böse, zwischen anständigem Bürger und Verbrecher finden sich auch schon in Wienes Meisterwerk „Das Cabinett des Dr. Caligari“ (1920) verwandt.” Film Dienst
“Der Film ist spannend erzählt, hervorragend gespielt und hat viele starke Momente (Zugunglück, Transplantation, Besuch beim Vater). Bei Absolut Medien ist jetzt die Blu-ray der restaurierten Fassung erschienen. Mit einer neuen Musik des österreichischen Komponisten Johannes Kalitzke, die sehr hörenswert ist.” Hans Helmut Prinzler
“Es gibt mehrere konkurrierende Restaurierungen. Fürs Heimkino ist nun (bonusfrei, dafür preisgünstig) jene des Filmarchivs Austria erhältlich. Eine der vollständigsten, doch kaum mit Retuschen an den Bild-Schrammen. Die neue atonale Musik von Johannes Kalitzke ist Geschmackssache. Sie hält die Nervosität hoch, konterkariert aber Empathie und Spannungsbögen.” Münchner Merkur
“Was dieses Meisterwerk des frühen Horrorfilms in seiner Wirkung erhöht, ist die neue Filmmusik von Johannes Kalitzke, eingespielt vom Stuttgarter Kammerorchester. Kalitzke erzeugt das Schwirren eines verängstigten Gehirns, das Brausen einer panischen Seele, die dem unter Verdacht stehenden Körper nicht entkommen kann.” Hannoversche Allgemeine
“In […] Orlacs Hände erreicht er (Conrad Veidt) die intensivste Expression des Unheimlichen: der langsam zum Wahnsinn getriebene Orlac, der sich vor seinen ihm seltsam entfremdeten Händen fürchtet, weil er glaubt, dass man ihm die Hände eines Raubmörders gegeben hat, vollführt mit einem Messer, dem diese Hände nicht entrinnen können, zuckende Bewegungen. Die arabeskenhaften Körperwindungen von Veidt nehmen eine unerhörte Vehemenz an, das expressionistisch Tänzerische übersteigert sich.” (Lotte H. Eisner)
Best. Nr.: 3017
ISBN: 978-3-8488-3017-6
EAN: 978-3-8488-3017-6
FSK: Infoprogramm
Länge: 95
Bild: PAL, S/W, 4:3
Ton: Dolby Stereo
Sprache: Deutsch
Regionalcode: codefree
Label: ARTE Edition
Edition: Arte Edition
Reihe: Stummfilm
Rubrik: Spielfilm
Genre: Drama
Weitere Titel aus
unserem Programm
Das Schloss
Michael Haneke
Verbotene Liebe
Helmut Dziuba