Filmarchiv | Doch das Böse gibt es nicht

Doch das Böse gibt es nicht


Regie: Mohammad Rasoulof

70. Berlinale 2020 – Goldener Bär (bester Film)

Heshmat ist ein vorbildlicher Ehemann und Vater, jeden Morgen bricht er sehr früh zur Arbeit auf. Wohin fährt er? Pouya kann sich nicht vorstellen, einen anderen Menschen zu töten, trotzdem bekommt er den Befehl. Kann es einen Ausweg für ihn geben? Javad besucht seine Freundin Nana, um ihr einen Heiratsantrag zu machen. Doch dieser Tag hält für beide noch eine andere Überraschung bereit. Bahram ist Arzt, darf aber nicht praktizieren. Als ihn seine Nichte Darya aus Deutschland besucht, beschließt er, ihr den Grund für sein Außenseiterdasein zu offenbaren.

DOCH DAS BÖSE GIBT ES NICHT erzählt vier Geschichten über Menschen, deren Leben vor existenziellen Herausforderungen stehen. Sie werfen die Fragen auf, wie integer ein Mensch in einem absoluten Regime bleiben, welche moralische Schuld er ertragen kann, ohne zu zerbrechen, und zu welchem Preis es gelingt, die individuelle Freiheit zu bewahren.

DIRECTOR´S STATEMENT
Vor etwa einem Jahr sah ich, während ich in Teheran die Straße überquerte, einen meiner Vernehmungsbeamten aus einer Bank kommen. Plötzlich überfiel mich ein unbeschreibliches Gefühl. Ich folgte ihm eine Weile, ohne dass er mich wahrnahm. Nach zehn Jahren war er ein wenig gealtert. Ich war versucht, mit dem Handy ein Foto von ihm zu machen, zu ihm hinzurennen, mich zu Erkennen zu geben und ihm all meine Fragen wütend ins Gesicht zu schreien. Als ich ihn aber näher betrachtete und seine Angewohnheiten beobachtete, sah ich, dass er kein böses Monster war.
Wie gelingt es autokratischen Herrschern, Menschen in bloße Zahnräder ihrer autokratischen Maschinen zu verwandeln? In autoritären Staaten ist es die einzige Aufgabe des Gesetzes, den Staat zu erhalten, nicht die Ermöglichung und Regelung der Beziehungen zwischen den Menschen. Ich komme aus solch einem Staat.
Von solchen persönlichen Erfahrungen angetrieben, wollte ich Geschichten erzählen, die Fragen stellen: Haben wir als verantwortliche Bürger*innen eine Wahl, wenn wir die unmenschlichen Befehle von Despoten umsetzen sollen? Zu welchem Grad können wir als menschliche Wesen für die Erfüllung dieser Befehle verantwortlich gemacht werden? Im Angesicht dieser autokratischen Maschine, wo stehen wir, wenn es um menschliche Gefühle geht, im Verhältnis zu der Dualität aus Liebe und moralischer Verantwortung?
Mohammad Rasoulof
ÜBER DEN REGISSEUR
Der iranische Independent-Regisseur, Drehbuchautor und Produzent Mohammad Rasoulof wurde 1972 in Shiraz (Iran) geboren. Während seines Soziologiestudiums startete er seine Laufbahn als Filmemacher mit Dokumentationen und Kurzfilmen. Sein erster Langfilm GAGOOMAN (THE TWILIGHT, 2002) wurde beim Fajr Film Festival im Iran als bester Film ausgezeichnet. Nach der Veröffentlichung seines zweiten Films JAZIREH AHANI (DIE EISERNE INSEL, 2005) geriet er in den Fokus der iranischen Zensurbehörden. Dies führte dazu, dass seine Möglichkeiten, Filme zu produzieren und im Iran zu zeigen, stark eingeschränkt oder untersagt wurden. Bis heute hat Mohammad Rasoulof sieben abendfüllende Filme fertiggestellt, keiner von ihnen konnte auf Grund der Zensurbestimmungen im Iran gezeigt werden, obwohl sie sich in anderen Ländern eines großen Publikumszuspruchs erfreuen.
Rasoulofs Kino nutzte meist allegorische Erzählweisen als Ausdrucksmittel, bis er sich 2010 zu einer direkteren Form entschied. Im März 2010 wurde Rasoulof bei Dreharbeiten festgenommen, als er zusammen mit Jafar Panahi bei einem Film Regie führte. Im anschließenden Prozess wurde er zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt, eine Strafe, die später auf ein Jahr reduziert wurde. Schließlich kam er auf Bewährung frei.
Mohammad Rasoulof wurde für seine Filme mit vielen Preisen ausgezeichnet. 2011 gewann er in Cannes in der Sektion Un Certain Regard den Preis für die beste Regie für BÉ OMID É DIDAR (GOODBYE, 2011). 2013 erhielt er dort den FIPRESCI-Preis der Internationalen Filmkritik für DAST NEVESHTEHA NEMISOOZAND (MANUSCRIPTS DON’T BURN, 2013). Zuletzt gewann er 2017 den Un Certain Regard-Hauptpreis für LERD (A MAN OF INTEGRITY, 2017) beim Cannes Film Festival. Als er im September 2017 in den Iran zurückkehrte, wurde ihm offiziell das Verbot erteilt, das Land zu verlassen – ein Urteilsspruch, der bis heute gültig ist. Er wurde beschuldigt, die „nationale Sicherheit zu gefährden“ und „Propaganda gegen die muslimische Regierung zu verbreiten“. Er wurde zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, einhergehend mit dem Verbot der Mitgliedschaft in jeder Art von politischer oder gesellschaftlicher Organisation.
All diese Einschränkungen haben Rasoulof nicht davon abgehalten, Filme zu machen. 2019 arbeitete er als Produzent und Drehbuchautor an den Spielfilmen HATCHBACK GHERMEZ (THE RED HATCHBACK) und PESAR-MADAR (SON-MOTHER). Außerdem vollendete er die Arbeit als Drehbuchautor, Regisseur und Produzent an seinem neuen Spielfilm SHEYTAN VOJUD NADAR (DOCH DAS BÖSE GIBT ES NICHT).

PRODUKTIONSNOTIZEN
Mohammad Rasoulof war es wichtig, in DOCH DAS BÖSE GIBT ES NICHT die Perspektive der jungen Generation im Iran einfließen zu lassen, die wesent-lich internationaler ausgerichtet ist als die zwei Generationen davor. Für das Schauspielensemble arbeitete er wie bereits in der Vergangenheit mit Laiendar-steller*innen zusammen, verpflichtete aber gleichzeitig einige der angesehens-ten Schauspieler*innen des Landes.
Als Schauplätze der vier Episoden schwebten dem Regisseur Orte mit einer jeweils sehr eigenen Landschaft und Atmosphäre vor. Regie und Team reis-ten daher zu Beginn 40 Tage lang durch den Iran, um Locations zu finden, die der Vorstellung von Rasoulof entsprachen.
DOCH DAS BÖSE GIBT ES NICHT entstand ohne eine Produktionsgeneh-migung durch den iranischen Staat, denn diese wäre, wie Koproduzent Kaveh Farnam erklärte, sowieso nicht erteilt worden. Stattdessen reichten er und Kopro-duzent Farzad Pak Anträge für die Dreharbeiten von vier Kurzfilmen ein, jeder in einer anderen Stadt. In den Anträgen waren jeweils andere Regisseur*innen und Drehbuchautor*innen genannt – Freunde des Filmteams, die mit ihrer Nennung in diesen Anträgen ebenfalls ein großes Risiko eingegangen sind. Mohammad Rasoulof leitete die Dreharbeiten, wo immer es verantwortbar war, teilweise war er durch eine Verkleidung unkenntlich gemacht. An manchen Drehorten, z. B. am Teheraner Flughafen, konnte er sich nicht zeigen, die Regiearbeit am Set wurde dort von der Regieassistenz übernommen.
Mohammad Rasoulof beschrieb in einem Interview, dass seine Drehtage immer mit einem Blick auf sein Smartphone begannen, immer in der Erwartung, die gegen ihn gerichtete einjährige Gefängnisstrafe könnte vollstreckt werden. Eine Woche vor Ende der Dreharbeiten traf dann tatsächlich die Benachrichtigung ein, dass die Gefängnisstrafe in erster Instanz vor Gericht bestätigt wurde. Die restlichen Drehtage fanden in der Unklarheit statt, wann der Gerichtsbescheid genau in Kraft treten würde, ein massiver psychischer Druck, den Rasoulof, wie er später erwähnte, ohne die Solidarität seines Teams nicht ausgehalten hätte.
Schnitt und Postproduktion fanden nach Abschluss des Drehs in Teheran und Hamburg statt.

Credits
Darsteller: Ehsan Mirhosseini, Shaghayegh Shourian, Kaveh Ahangar, Alireza Zareparast, Salar Khamseh
Regie: Mohammad Rasoulof

Produktionsland: D/CZ/IR
Produktionsjahr: 2020
Pressestimmen

„Treibt die Stärken des iranischen Kinos auf die Spitze.“ Der Spiegel

„Ein verdienter Berlinale-Sieger“ FAZ

„Ein Monument der Dissidenz“ Frankfurter Rundschau

„Absolut sehenswert, ein überzeugendes Statement für die Demokratie!“ Amnesty Journal

„… handelt von all dem, was die Superheldenfilme verschweigen: von dem Mut, den es braucht, um einem Unrechtssystem zu widerstehen; von dem Preis, den die wenigen, welche ihn aufbringen, für ihr Tun bezahlen; und von der inneren Qual derjenigen, die dem Druck nachgeben und sich
anpassen.“ Frankfurter Allgemeine Zeitung

»Ein Episodenfilm, der die Todesstrafe im Iran anhand von ausgewählten Menschen verhandelt, die sich direkt oder indirekt mit ihr konfrontiert sehen und vor der Frage stehen, wie man im Angesicht eines repressiven Regimes einen einigermaßen moralischen Verstand behält. Allein aufgrund der Thematik verwundert es kaum, dass Rasoulof Schwierigkeiten hatte, seinen Film ohne fremde Hilfe fertigzustellen. Dazu kommt, dass der Regisseur im Juli 2019 aus Gründen der „nationalen Sicherheit“ und Propaganda gegen die Regierung zu einer einjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde.« Ray Magazin

Auszeichnungen

70. Berlinale 2020 – Goldener Bär (bester Film)
70. Berlinale 2020 – Gilde-Preis der AG Kino-Gilde
70. Berlinale 2020 – Preis der ökumenischen Jury

DVD
nicht mehr lieferbar

Best. Nr.: 7055
ISBN: 978-3-8488-7055-4
EAN: 978-3-8488-7055-4
FSK: 12

Originaltitel:
Sheytan vojud nadarad


Länge: 150
Bild: PAL, Farbe, 16:9
Ton: 5.1
Sprache: Deutsch und Originalfassung
Untertitel: deutsche Untertitel
Regionalcode: codefree

Label: absolut MEDIEN
Reihe: GRANDFILM


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