Film | Der Karski-Bericht
Der Karski-Bericht
Regie: Claude Lanzmann
»Die europäischen Juden wurden nicht gerettet. Hätten sie gerettet werden können?« Claude Lanzmann
Für sein epochales Filmprojekt über die Judenvernichtung hatte Claude Lanzmann Jan Karski 1978 zwei volle Tage interviewt. Der polnisch-katholische Widerstandskämpfer und legendäre Kurier der polnischen Exilregierung war 1942 von Vertretern der polnischen Juden ins Warschauer Ghetto und in ein Konzentrationslager eingeschleust worden, um dann ab 1943 als »Botschafter des Holocaust aus eigener Anschauung« (Spiegel) der Welt von der Vernichtung der Juden in Polen Bericht zu erstatten.
Die aufwühlende Erzählung seiner Ghettobesuche in Lanzmanns SHOAH ist unvergessen, wie aber verlief Karskis Besuch im Weißen Haus? Wie reagierten Franklin D. Roosevelt und andere führende Vertreter der freien Welt auf seinen ungeheuerlichen Bericht? All dies schildert Jan Karski nicht minder eindringlich in diesem zweiten bislang unveröffentlichten Teil des Interviews. In seiner Detailgenauigkeit, in der Würde und Tiefe der Aussage ein außerordentliches, tief erschütterndes Dokument.
»Ich kann nur sagen, dass ich es mit eigenen Augen gesehen habe und dass es die Wahrheit ist.« Jan Karski
JAN KARSKI – eine kleine selektive Chronik
Am 24. April 1914. Jan Kozielewski wird in Lódź geboren.
Januar 1939. Nach einem Doppelstudium Jura und Diplomatie Anstellung im polnischen Auswärtigen Amt.
September 1939. Einmarsch der Wehrmacht in Polen: Der junge Unterleutnant wird eingezogen und gerät nach der Kapitulation erst in sowjetische, dann nach einem Gefangenenaustausch in deutsche Kriegsgefangenschaft.
November 1939. Er flüchtet von einem Gefangenentransport und schließt sich im nunmehr deutsch besetzten Polen der Untergrundbewegung an, von der er als Kurier eingesetzt wird. Er nimmt den Decknamen ‘Karski’ an.
1940. Von der Gestapo verhaftet und gefoltert. Selbstmordversuch und erneute Flucht.
Sommer 1942. Vertreter der polnischen Juden in Warschau schleusen ihn zweimal ins Ghetto sowie in ein KZ bei Lublin, damit er sich mit eigenen Augen ein Bild von der Lage machen kann, um den Westmächten davon zu berichten.
Herbst 1942. Es gelingt Karski, sich nach London durchzuschlagen, wo er mit Vertretern der polnischen Exilregierung zusammentrifft, mit Mitgliedern des britischen Kriegskabinetts, mit Intellektuellen wie Arthur Koestler und H. G. Wells und mit jüdischen Autoritäten. Allen trägt er seinen Bericht vor über die Lage in Polen und das tragische Los der Juden. Man beschließt, ihn in die Vereinigten Staaten zu entsenden, um die höchsten Instanzen Washingtons zu informieren.
28. Juli 1943. Präsident Roosevelt empfängt ihn im Weißen Haus.
1944. Sein Buch, Story of A Secret State, in dem er seine Missionen für den polnischen »Untergrundstaat« schildert, erscheint mit großem Erfolg in den USA.
1978. Claude Lanzmann sucht Karski in Washington auf, wo er Politikwissenschaften an der Universität Georgetown lehrt, und überzeugt ihn, in seinem geplanten Film SHOAH als Zeuge aufzutreten. Karski steht zwei volle Tage vor Lanzmanns Kamera Rede und Antwort.
1985. SHOAH kommt in die Kinos. Karski schildert darin 40 Minuten lang auf eindringlichste Weise die Gesuche der jüdischen Vertreter in Warschau und beschreibt seine zwei Besuche im Ghetto. Die Details seiner Mission und das Treffen mit präsident Roosevelt bleiben unerwähnt.
1994. Karski wird zum Ehrenbürger des Staates Israel ernannt.
2009. Yannick Haenels Roman »Jan Karski« (Dt. Ausgabe: »Das Schweigen des Jan Karski«. Hamburg 2011) erscheint in Paris und löst eine rege Feuilleton-Debatte aus. Haenels romaneske Einfühlung in die historische Figur Karski veranlasst Lanzmann dazu, das nicht verwendete Interview-Material mit dem großen Kurier des Widerstands etliche Jahre nach dem Erscheinen von SHOAH zu einem eigenen Film zu verarbeiten. Denn Haenel hatte die Details von Karskis Zusammenkunft mit Roosevelt frei erfunden, um seine These von der mutwilligen Ignoranz der Alliierten zu untermauern. Da sich Karski vor Lanzmanns Kamera 1978 ganz anders geäußert hatte, entschied dieser sich dazu, das Material zu veröffentlichen.
17. März 2010. Lanzmanns LE RAPPORT KARSKI wird auf ARTE ausgestrahlt.
2011. Die erste deutsche Ausgabe von Karskis Story of a Secret State (Jan Karski: »Mein Bericht an die Welt«) erscheint mit fast sieben Jahrzehnten Verspätung …
- Extras
Mit ausführlichem Booklet.
- Credits
-
Buch: Claude Lanzmann
Kamera: William Lubtchansky
Mitwirkender: Jan Karski
Regie: Claude Lanzmann
Schnitt: Chantal Hymans
Produktion: Les Films Aleph (Paris)
Produktionsland: F
Produktionsjahr: 2010
- Pressestimmen
»Unbedingt sehenswert« – Damals, das Magazin für Geschichte
»In dem Gespräch, das Claude Lanzmann 1978 mit dem 64-jährigen Ex-Agenten anlässlich seiner Recherchen zu dem megalomanen Dokumentationsprojekt «Shoah» führt, gibt Karski seine Gespräche mit Roosevelt und Frankfurter in seltsam theatralischer Weise wieder – ganz im Gegensatz etwa zu den Passagen, in denen er direkt über die Vernichtungsmaschinerie spricht und die Lanzmann dann 1985 in sein «Shoah»-Projekt übernehmen sollte. So wäre vielleicht dieser zweite, etwas manieriertere Teil des Karski-Interviews für immer in den Archiven verschwunden, wenn nicht Yannik Haenels 2009 erschienener Roman «Jan Karski» den Filmemacher dazu provoziert hätte, seinen «Karski-Bericht» zu veröffentlichen.« – NZZ
»Ein zunächst unscheinbar wirkendes Dokument, das sich im Laufe der rund 50 Minuten zu verstörenden Aporien hin öffnet und den Betrachter vor schmerzhafte Fragen stellt.« NZZ
»Claude Lanzmann hat in seinem monumentalen
Werk Shoah versucht, das Unfassbare fassbar zu machen, indem er es in Gesprächen, in Gesichtern und Körpern eingeschrieben zeigt. Die Zeugen mussten alles noch einmal erleben, den Schrecken, den Schmerz, die Furcht, damit wir, die Nachgeborenen, die unmittelbarer Wucht des Erlittenen im filmischen Gegenüber erahnen können. Jan Karski gehört zu den beeindruckendsten Protagonisten dieses Jahrhundertprojekts. Ein Glück, dass er sich hat überreden lassen.« Kilian Trotier, DIE ZEIT»Die finstersten Jahre der deutschen Geschichte haben uns Misstrauen gelehrt gegen Heldenverehrung und brennende Vaterlandsliebe. Dennoch gibt es kein anderes Wort als heroisch, um das Leben und die Taten des Polen Jan Karski angemessen zu beschreiben.« taz, Christian Semler
»Als Film über ein im wahrsten Sinne “unglaubliches” Zeugnis, das vielleicht angehört, aber nie ganz verstanden werden kann, ist “Der Karski-Bericht” zugleich ein Spätwerk Claude Lanzmanns, das emblematisch und erschreckend zugleich auch für die Lebensleistung dieses Filmemachers stehen mag.« filmgazette.de, Janis El-Bira
»Die Massenvernichtung überstieg die Möglichkeiten menschlicher Vorstellungskraft, folgert Lanzmann: ‘Der Karski-Report’ bringt die Mission seines Werks noch einmal auf den Punkt – die Vergegenwärtigung des Unbegreiflichen.« Die Presse, Christoph Huber
»Das menschliche Gehirn sträubt sich gegen die Vorstellung absoluter Destruktivität. So ist ‘Der Karski-Bericht’ nicht nur historisches Dokument der komplexen Geschichte des Zweiten Weltkrieges und der Shoah, sondern auch eine Reflexion über das Versagen rationaler und emotionaler Vorstellungskraft. … Mit ‘Der Karski-Bericht’ komplettiert absolut medien die in den letzten Jahren auf DVD veröffentlichte Filmografie Claude Lanzmanns. Der Dokumentarist hat sich so intensiv wie niemand sonst filmisch mit der Shoah und mit dem Leben und den Kriegen in Israel auseinandergesetzt (‘Warum Israel’, 1973; "Tsahal’, 1994). Sehenswert ist jedes der Werke dieses so streitbaren, egomanen, emphatischen, außergewöhnlichen Regisseurs.« Critic.de, Sonja M. Schulz, 4.10.2010
»Als Film über ein im wahrsten Sinne “unglaubliches” Zeugnis, das vielleicht angehört, aber nie ganz verstanden werden kann, ist “Der Karski-Bericht” zugleich ein Spätwerk Claude Lanzmanns, das emblematisch und erschreckend zugleich auch für die Lebensleistung dieses Filmemachers stehen mag.« – filmgazette
»Was aus heutiger Sicht absurd klingt und später Historiker als verpasste Gelegenheit bezeichnen oder gar als “unterlassene Hilfeleistung”, darauf geht Claude Lanzmann explizit im Info-Heft der DVD ein. Dort weist er darauf hin, dass das Licht der Gegenwart die Schwere einer Epoche nicht wirklich rekonstruieren kann, indem es einige Funde aus der Vergangenheit beleuchtet. In diesem Sinne bietet der “Karski-Bericht” einen unglaublichen Erfahrungsbericht, ohne jedoch ein Urteil zu fällen.« – Deutschlandradio Kultur
»Was geschieht, wenn Menschen sich mit einer unvorstellbaren Wahrheit konfrontiert sehen und diese als unzumutbar zurückweisen, davon legt dieser kurze Film eindrückliches Zeugnis ab.« Connection
Best. Nr.: 387
ISBN: 978-3-89848-387-2
EAN: 978-3-89848-387-2
FSK: Infoprogramm
Originaltitel:
Le Rapport Karski
Länge: 49
Bild: PAL, Farbe, 4:3
Ton: Mono
Sprache: Englisch
Untertitel: deutsche Untertitel
Regionalcode: codefree
Label: absolut MEDIEN
Edition: Die großen Dokumentaristen
Rubrik: Dokument
Weitere Titel aus
unserem Programm
Orlacs Hände (1924)
Robert Wiene
Stadt ohne Juden, Die (1924)
Hans Karl Breslauer