Filmarchiv | Marcel Marceau - Die Kunst der Pantomime

Marcel Marceau - Die Kunst der Pantomime


Regie: Wolfgang Schleif

Marceau feierte in seiner sechs Jahrzehnte währenden Karriere weltweit Erfolge. Nur mit dem Spiel seines Gesichtsausdrucks und den Gesten seines Körpers vermochte er ganze Stücke aufzuführen.
Am 22. März 1923 geboren als Marcel Mangel, Sohn eines jüdischen Metzgers in Straßburg, schloss er sich 1942 – nach der Deportation seines Vaters nach Auschwitz – der Résistance an – mit gefälschten Papieren auf den Namen Marceau. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs schlüpfte er
als Clown Bip in alle denkbaren Rollen. 1947 gründete er die pantomimische Theatergruppe „Compagnie de Mimes Marcel Marceau“, die 26 sogenannte Mimodramen, darunter auch „Der Mantel“ nach Gogol, aufführte. 1951 tourte er erstmals durch Deutschland und wurde zum Star der Berliner Festwochen. DEFA Regisseur Wolfgang Schleif nahm die sensationellen Aufführungen zum Anlass, Marceaus wichtigsten Stücke im prächtigen Agfacolor zu filmen. Erstmals liegen diese kostbaren Dokumente in restaurierter Fassung vor: Marceau und seine Compagnie stumm, mit Musik und mit Erzählerstimme. „Seit 1951 spiele ich auf deutschen Bühnen, hier hatte ich meine größten Erfolge…“ erinnert sich Marceau.

MARCEL MARCEAU (1923 – 2007) – Der Pantomime zu Gast bei der DEFA

René Pikarski im Gespräch mit Barbara Barlet

Seit über fünfzehn Jahren recherchiert Barbara Barlet für die DEFA-Stiftung in den Beständen des Deutschen Bundesarchivs in Berlin-Lichterfelde. Dort wird das Schriftgut der DEFA-Studios verwahrt; deren Aktenmenge belegt mehrere hundert Regalmeter. Als sich im Mai 2016 Aurélia Marceau — die Tochter des berühmten französischen Pantomimen — bei uns nach Filmen erkundigte, die ihr Vater bei der DEFA gedreht haben soll, begann für die Kunsthistorikerin die Suche, denn ein Nachweis über entsprechende Filme lag der DEFA-Stiftung bis dahin überhaupt nicht vor.

Der berühmte Pantomime Marcel Marceau war tatsächlich bei der DEFA aktiv. In welcher Form finden wir das Schaffen des Straßburger Künstlers bei der DEFA präsentiert?
Mit Marceau entstanden unter der Regie von Wolfgang Schleif drei kurze Filme, die von Dezember 1951 bis Januar 1952 produziert und jeweils per Schlussbericht abgerechnet wurden. Unter den Sammeltiteln Tanzfilme Marcel Marceau Teil l und Teil ll verbergen sich die Titel Der Mantel (872 m), Der Sonntagsmaler (386 m) und Die Kunst der Pantomime (574 m). Der Mantel ist die pantomimische Adaption Marceaus von Gogols Theaterstück, das er mit seiner Compagnie als sogenanntes Mimodrama auch auf der Bühne zeigte. Der Sonntagsmaler erzählt eine komödienhafte Geschichte mit Kommentartext, in der Marceau als Freiland—Maler eine Dame zu beeindrucken sucht. Die Kunst der Pantomime unterteilt sich zum einen in Stilübungen mit Klassikern der Solopantomime wie Gehen, Treppensteigen oder Tanz auf dem Hochseil und zum anderen in Studien des Bip, kurze satirische Sequenzen, wie z. B. »Mondäne Abendgesellschaft<<. In diesem Film ist Marceau als sein weltberühmtes Alter Ego, als tragikomischer Clown >>Bip<<, mit weißer Schminke und Ringelhemd zu sehen.

Marceau tritt zum Teil gemeinsam mit seiner Compagnie auf und erzählt ausdrucksstark Geschichten und Empfindungswelten, ohne überhaupt nur ein einziges Wort zu sprechen. Wie ist zu erklären, dass sich ein Spielfilmregisseur zum Teil ausgesprochen dokumentarisch der Kunst eines Pantomimen auf der Bühne widmet?
Wolfgang Schleif drehte diese Filme in einer Zeit, in der er als Regisseur am DEFA-Studio für Spielfilme relativ kaltgestellt war. Von ihm vorgeschlagene Stoffe wie ein Büchner-Projekt und >>Sonnenhof<< kamen über die Phase der Stoffentwicklung nicht hinaus und der ihm zugesagte Regieauftrag zum Film Sein großer Sieg (1952) wurde schließlich von Franz Barrenstein übernommen. Also nutzte er seine Bekanntschaft mit Marcel Marceau und dessen Gastspiel in der DDR, um eigeninitiativ die drei Filme im Johannisthaler DEFA-Atelier zu drehen. Da er als festangestellter Regisseur zwei Spielfilme im Jahr zu realisieren hatte, rechnete man einfach die drei Marceau—Titel als einen und das Drehbuch zu >>Sonnenhof<< als den anderen ab —so konnte die Realisierung des Marceau-Projekts pflichtgemäß erledigt werden. Der DEFA-Vorstand hatte das Projekt befürwortet.

Warum tauchen diese Filme danach weder in den Listen der Jahresproduktion noch in den später erstellten Gesamtübersichten zu Filmen des Spielfilmstudios auf?
lm Bericht der Hauptverwaltung für das Geschäftsjahr 1951 werden die drei Filme noch unter dem Sammeltitel Marcel Marceau angekündigt und später von der Buchhaltung auch abgerechnet, offenbar sah man sie aber u. a. wegen ihres eher dokumentarischen Charakters und der Länge als dem Spielfilm nicht zugehörig an. Ihre Zulassungsunterlagen liegen entsprechend in der Ablage der Dokumentarfilme.

Hatte die Öffentlichkeit denn Kenntnis von diesen Filmen?
Der Dramaturg und Kritiker Herbert Ihering schwärmte im Mai 1952 in der Berliner Zeitung von einem DEFA-Film namens Der Mantel – kein Wunder, er hatte immerhin beratend an den Marceau-Filmen mitgewirkt und den Kommentar in Der Sonntagsmaler gesprochen. Bei einer Sonderveranstaltung des Kulturbunds Treptow, die als Propaganda für westdeutsche Kulturschaffende geplant war, zeigte man ebenfalls die drei Filme. Es wird von dem vielfachen Wunsch berichtet, sie einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Man lobte nicht nur die Kunstfertigkeit Marceaus, sondern auch die geschickte Art und Weise, wie sie von der DEFA festgehalten wird.

Bisher fehlen Hinweise darauf, dass die Filme je öffentlich zu einem Kinoeinsatz in der DDR gelangten. Wurden wenigstens Teile gezeigt oder waren sie überhaupt nicht zu sehen?
Man brachte ein paar Ausschnitte aus den Stilübungen unter dem Titel Die Kunst der Pantomime in der ersten Folge der DEFA-Rakete des Jahres 1953 unter. Ob der Trailer, den wir nun auch digitalisiert haben, je in den Kinos vorgeführt wurde, ist unklar. Aber die Existenz der Filme hatte sich herumgesprochen, das Neue Deutschland leitete Anfragen, was denn nun mit den Filmen sei und wieso sie nicht gezeigt würden, zur Beantwortung an die entscheidenden Stellen weiter.

Welche Gründe ließen sich anhand der Archivalien für dieses Quasiverbot der Hauptverwaltung Film beim Kulturministerium ermitteln?
Sepp Schwab, der Vorsitzende des Staatlichen Filmkomitees, rechtfertigt sich gegenüber den Anfragen zu den Filmen vor allem damit, dass Der Mantel seiner literarischen Vorlage von Nikolai Gogol nicht entspräche und »von unseren Freunden abgelehnt<< wurde. Weiter heißt es: >>Der Sonntagsmaler ist künstlerisch verunglückt und ein ziemlicher Klamauk nach der Methode der alten Stummfilme geworden. Beide Filme können wir in öffentlichen Einsatz nicht zeigen<<.

Vermutlich bezieht sich >unsere Freunde< auf die Russen, aber wie verhielt sich das Studio als Produzent?
Spielfilm-Produktionschef Albert Wilkening bemühte sich1954 mit Verweis auf die hohen Kosten um eine erneute Überprüfung zur Freigabe der Filme und auch der DEFA-Außenhandel bekundete in mehrfachen Nachfragen sein Interesse an vielversprechenden Auslandseinsätzen, doch zeigte sich die Hauptverwaltung Film unbeweglich, Genehmigungen wurden höchstens für geschlossene Veranstaltungen mit einmaliger Vorführung erteilt. Später äußerte der Leiter der Hauptverwaltung Film, Anton Ackermann, die Filme seien ja seinerzeit schließlich ausschließlich für >>Studienzwecke<< gedreht worden.“

Aber dann kam mit dem Beginn des Jahres 1955 erneut Bewegung in die Sache?
Ja. Die Neue Zeit veröffentlichte, wiederum nach einem Gastauftritt des Pantomimen in der DDR, einen Artikel unter der Überschrift »Die Filme von Marceau — warum nicht für alle?<< Parallel dazu machte Marceau selbst Druck, so dass sich die Hauptverwaltung Film auf seinen Wunsch hin nun doch an eine erneute Überprüfung der drei Filme machte. Marceau war Teilnehmer dieser Sichtungskommission, da er aufgrund seines Gastspiels in der DDR war, anwesend waren auch Joris lvens und Anton Ackermann. Der Pantomime zeigte sich laut Zulassungsprotokoll Insgesamt eher kritisch, seine Arbeit sei mittlerweile weit ausgereifter. Vor allem Der Sonntagsmaler entsprach nicht seiner Vorstellung, da ein mit Text untermalter Film die pantomimische Leistung überlagere und verrate, es sei lediglich ein Versuch gewesen. Die anderen beiden Filme hielt er hingegen für durchaus aufführbar und wünschte ihre Vorführung in den Kinos. So sah es auch Joris Ivens, der besonders die gelungene Einbeziehung des Schattenspiels bei Der Mantel betonte. Nach der Sichtung legte die Hauptverwaltung fest, dass von Der Mantel fünf Kopien für Sondervorführungen und Zeitkinos zugelassen werden sollten, die Kopien zu Der Sonntagsmaler wurden samt Unterlagen an das Staatliche Filmarchiv der DDR übergeben und Die Kunst der Pantomime wurde aufgeteilt in drei Filme: Stilübungen (226 m), Hummeltragödie (180 m) und Mondäne Abendgesellschaft (214 m). Auch diese drei Teile waren mit jeweils fünf Kopien ausschließlich in Zeitkinos und Sonderveranstaltungen zugelassen, das heißt die Filme waren zwar zu sehen, aber eher als Ausnahmen im Kinoeinsatz. Mondäne Abendgesellschaft wurde als DEFA-Stacheltier-(Urlaubs) Folge des Jahres l954 mit der Nummer 30 eigenständig unter dem Titel Eine bürgerliche Abendgesellschaft gezeigt.

Trotzdem führt auch eine Spur ins Ausland?
Da nun auch der DEFA-Außenhandel mit den Filmen arbeiten konnte, lassen sich einige Verkäufe ins Ausland dokumentieren. Der Mantel etwa wurde nach Liechtenstein und in die Schweiz, aber auch in die USA und nach Kanada, Kuba, Frankreich und in die Bundesrepublik exportiert.

(aus: LEUCHTKRAFT 2018 – Journal der DEFA-Stiftung, Berlin 2018)

Extras

Marcel Marceau in Ausschnitten der Wochenschau „Der Augenzeuge“ und im „DDR-Magazin“:

1951 Marcel Marceau zu Gast in der DDR, Dreharbeiten in den Johannisthaler Ateliers.
1954 Marcel Marceau gastiert in der Volksbühne
1961 Marcel Marceau in Moskau (aus der sowjetischen Wochenschau „Neuheit“)
1966 Marcel Marceau bei den Berliner Festtagen, Ausschnitt aus „Klettern“
1967 Marcel Marceau gab ein Gastspiel bei den 10. Berliner Festtagen
1969 Der Pantomime Marcel Marceau auf der Bühne

Inhaltsübersicht

„Kunst der Pantomime“, Regie: Wolfgang Schleif, DDR 1951, 35mm, ca. 23 Min
- ‚Stilübungen‘, ca. 8 Min.
- ‚Hummeltragödie‘, ca. 7 Min
- ‚Mondäne Abendgesellschaft‘, ca. 8 Min
„Der Mantel“, Regie: Wolfgang Schleif, DDR 1951, 35mm, 32 Min
„Sonntagsmaler“, Regie: Wolfgang Schleif, DDR 1951, 35mm, 14 Min

Credits
Regie: Wolfgang Schleif

Produktionsland: DDR
Produktionsjahr: 1951
Pressestimmen

“Der Poet aus Paris!” Berliner Zeitung

„Marcel Marceau belebte die Kunst der Pantomime neu, die vom Stummfilm verdrängt worden war. Bis heute beeinflusst er viele Künstler unterschiedlicher Genres.“ TAGESSPIEGEL

“Marceau erklärte sein pantomimisches Schweigen, seine Kunst der Stille auch damit, dass er als junger Mann in der Résistance war. Man habe sich damals das Sprechen abgewöhnen müssen.“
DEUTSCHLANDFUNK

“Finden uns die bewegendsten Momente im Leben nicht ohne Worte?” Marcel Marceau

DVD
nicht mehr lieferbar

Best. Nr.: 3016
ISBN: 978-3-8488-3016-9
EAN: 978-3-8488-3016-9
FSK: Infoprogramm

Länge: 69
Bild: PAL, Farbe, 4:3
Ton: Mono
Sprache: Deutsch
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Reihe: absolut Klassiker
Rubrik: Dokument


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