Filmarchiv | Die Neue Nationalgalerie

Die Neue Nationalgalerie


Das Jahrhundertbauwerk des Architekten Ludwig Mies van der Rohe Regie: Ina Weisse

Die Neue Nationalgalerie in Berlin ist ein Jahrhundertbauwerk des Architekten Mies van der Rohe.

Fünfzig Jahre nach der Eröffnung 1968 begibt sich die Regisseurin Ina Weisse auf die Spurensuche in die Tage der Entstehung des legendären Bauwerks. Sie ist die Tochter des Architekten Rolf Weisse, der im Büro von Mies in Chicago arbeitete. In Interviews mit ihrem Vater, Dirk Lohan, dem Enkel von Mies, dem mit der Sanierung beauftragten Architekten David Chipperfield und vielen anderen Persönlichkeiten geht Ina Weisse der Frage nach, wie die Neue Nationalgalerie entstanden ist und welche Weltanschauung in Mies’ Gebäude zum Ausdruck kommt. Neben Ina Weisses Interviews und den spannenden Bildern der Räumung des Museums enthält der Film bislang unveröffentlichte Filmaufnahmen aus den 1960er Jahren, die Rolf Weisse damals im Büro von Mies van der Rohe drehte.

EINFÜHRUNG
Mein Vater arbeitete ab 1963 als Architekt in Mies van der Rohes Büro in Chicago. Gemeinsam mit Dirk Lohan, dem Enkel von Mies, war mein Vater mit den Ausführungszeichnungen für die Neuen Nationalgalerie und den Lösungen der Details beschäftigt. Er hatte damals eine Bolex- Kamera und filmte Mies, während dieser an seinem Arbeitstisch saß und zeichnete. In anderen Ausschnitten sieht man Mies zusammen mit seinen Studenten im Institut of Technology.
Vor einigen Jahren begann ich meinen Vater über die Arbeit in Chicago zu interviewen. Während seiner Schilderungen entstand die Idee, einen Film über die Entstehung der Neuen Nationalgalerie zu machen. Da das Museum wegen Renovierungsarbeiten geschlossen wurde, konnten wir die Auslagerung der Kunstwerke und den Beginn der Sanierungsarbeiten unter der Leitung von David Chipperfield mit begleiten. Mit David Chipperfield führte ich ausführliche Interviews. Darüber hinaus interviewte ich Historiker und Architekturtheoretiker wie Fritz Neumeyer, den Stahlbauingenieur Heinz Oeter und den Architekten Dirk Lohan, der, wie Rolf Weisse, unmittelbar an der Erbauung der Neuen Nationalgalerie beteiligt war. Abgesehen von den frühen Interviews mit meinem Vater, führten Judith Kaufmann und Marcus Winterbauer die Kamera. Wegen der unterschiedlichen Formate und weil sich die Architektur Mies van der Rohes so am klarsten zeigen läßt, ist der Film größtenteils in schwarz- weiß gedreht.

DIE NEUE NATIONALGALERIE
Ein Film von Ina Weisse
Kamera JUDITH KAUFMANN & MARCUS WINTERBAUER
Kameraassistenz FLORIAN MAG & JOHANNES LOUIS Schnitt BERND EUSCHER
Ton OLIVER STAHN, MORITZ SPRINGER, CHRISTOPH KOZIK Sounddesign SEBASTIAN TESCH
Mischung ANSGAR FRERICH Musik ACHIM HAGEMANN Clarinet ROLF KÜHN
Produktion FELIX VON BOEHM Ausführender Produzent ANTON KAISER
Lizenzen SABRINA HARTMANN Mit freundlicher Unterstützung vom
Verein der Freunde der Nationalgalerie und der Wüstenrot Stiftung

ZUM FILM
Wie wird eine Weltanschauung gegenständlich? Baukunst als in Raum übersetzter Wille, Bauen als Ausdruck geistiger Entscheidung. Mies ist in einer Zeit aufgewachsen, in der nach dem ersten Weltkrieg die alte Ordnung ihren Lebenssinn für den modernen Menschen verloren hatte. Um sich aber von der Bindung der Vergangenheit loszusagen und dadurch Raum zu neuen Lebensmöglichkeiten zu gewinnen, hat der moderne Mensch, nach Mies, zugleich auch eine neue Verantwortung, nämlich die Sinngebung und Gestaltung seiner eigenen Welt. Aber wie hat sich bei Mies dieser Standpunkt gebildet? Wer waren seine philosophischen und baulichen Meister, die er überwand, um etwas Eigenes zu schaffen? Und wie kam es dazu, daß am Platz des heutigen Kulturforums zwei so unterschiedliche Architekten wie Mies van der Rohe und Scharoun bauten?

Mies, der für ein universales Konstruktionsprinzip steht, realisierbar unabhängig vom Standort und weitestgehend unabhängig von der Funktion. Der nach einer Struktur suchte, die als Ordnungskonstante in einer sich wandelnden Welt bestehen konnte. Der versuchte „Ordnung zu schaffen in der verzweifelten Unordnung unserer Zeit.“ Und Scharoun, der jede Formsetzung ablehnt. Dessen Gebäude organisch aus seiner Funktion heraus entstehen sollte. Er sah die Philharmonie als Teil einer landwirtschaftlichen Stadtanlage, die für ihn Ausdruck eines demokratischen Gemeinschaftsgefühls war.

Da man die Neue Nationalgalerie nur aus ihrer Geschichte heraus betrachten kann, geht es in dem Film auch um die Geschichte des Ortes und seine Zeit. Ein Ort, der im 19. Jahrhundert ein grüner Vorort mit Vorstadtvillen war. Später durch das Wachstum der Stadt zu einer Art Zwischenzone des alten und neuen Stadtzentrums wurde, mit großbürgerlichen Wohnhäusern, in denen viele jüdische Familien lebten. Und der schließlich durch die Nähe zum Potsdamer Platz und vor allem durch die Machtergreifung der Nationalsozialisten mit einem monumentalen „runden Platz“ eine zentrale Bedeutung für die Welthauptstadt Germania bekommen sollte. Die Bewohner wurden verdrängt, viele enteignet und in Konzentrationslager deportiert. Zahlreiche Gebäude wurden 1939 abgerissen. Ein Botschaftsviertel wurde geplant. Es entstand das „Haus des Fremdenverkehrs.“ Schließlich setzte der Krieg die begonnene Zerstörung des Viertels fort.

Nach 1945 verkam der Platz zu einer Brache. Ende der 50er Jahre versuchte man mit der Idee des Kulturforums einen Gegenentwurf zur Museumsinsel in Ostberlin zu schaffen. Dass der Berliner Senat den aus Deutschland emigrierten Mies van der Rohe den Auftrag erteilte, eine Galerie des 20. Jahrhunderts zu entwerfen, war auch eine Art Wiedergutmachung. Nachdem das Bauhaus unter seiner Leitung in Berlin geschlossen worden war, hatter er 1938 Deutschland verlassen und sich in Chicago niedergelassen. In Amerika verfolgte Mies systematisch seine Vision frei überspannter, eingeschossiger Universal-Räume, die schließlich im Entwurf für die Neue Nationalgalerie mündete. Er strebte nach der klarsten Struktur durch Reduktion der Konstruktion auf die wesentlichen Elemente Bodenplatte, Stützen, Dach und Glashülle. Die Neue Nationalgalerie ist also der Endpunkt der Entwicklung einer Idee, an der Mies unermüdlich gearbeitet hat. Getreu dieser Maxime wandelte Mies den Entwurf eines Verwaltungsgebäudes für Bacardi auf Kuba, dessen Bau wegen der Revolution nicht zu Stande kam, für ein Museum in Schweinfurt um. Unstimmigkeiten in der Stadtverwaltung führten dazu, daß das Projekt fallen gelassen wurde, was Mies nur entgegen kam, da die Stadt Berlin ja inzwischen an ihn herangetreten war und er hier nun endlich den weiterentwickelten Entwurf zu seiner Ausführung bringen konnte.

Über die Zusammenarbeit mit Mies van der Rohe erinnert sich Rolf Weisse: „Mies war sehr aufgeschlossen, alle die bei ihm arbeiteten waren fertige Architekten und er erwartete von ihnen, daß sie zu seinen Entwürfen etwas beitrugen. Und so hat er sich auch verhalten, es war ein Verhältnis, das auf gegenseitiger Achtung beruhte. Die schärfste Kritik bei ihm war: „Daran müssen wir noch arbeiten.“

Die Suche nach der klarsten Struktur des Bauwerks galt für jedes Detail. So ging es bei der Neuen Nationalgalerie darum, wie das 1.250 Tonnen schwere Stahldach auf den Stützen aufliegt. Da Stahl die Eigenschaft hat, sich bei Hitze auszudehnen und bei Kälte zusammenzuziehen, kann man die Stützen nicht mit dem Dach verschweißen, sonst würden sie aus ihrer Verankerung gerissen. Also wurde nach einer anderen Lösung gesucht. Rolf Weisse erzählt, wie ihm während einer Reise auf der route 66 in der Nähe von Saint Louis eine Stahlbrücke über dem Mississippi auffiel. Er stieg einen Abhang hinunter und beobachtete, wie die Stahlträger auf Rollen auflagen und sich, wenn ein Lastwagen darüber fuhr, verschoben. Offensichtlich wurden durch die Walzen die Spannungen aufgenommen.

Rolf Weisse: “Im Büro besprachen wir die Möglichkeit, das Dach auf Kugeln zu lagern. Die Grundidee war, daß eine Schale mit der Stütze verschweißt wurde und die andere Schale mit dem Dach. Dazwischen lag die Kugel. Wir haben mit Mies darüber gesprochen. Er sagte: “Fragen Sie die Ingenieure!“ Die Stützköpfe wurden dann schließlich als gelenkige Lager ausgeführt.“

Heinz Oeter, der damals Ingenieur bei Krupp war und die Projekt- und Bauleitung übernahm, setzte gegen einige Widerstände das Lift-Slab- Verfahren durch. Um das Dach auf die Stützen zu legen, hat man die Stützen mit einem Gelenk angeschweißt, so daß sie am Dach hingen. Dann wurde das Dach wie mit Wagenhebern langsam hydraulisch angehoben und die Stützen schwenkten auf die vorgesehenen Fundamente. Mies kam aus Chicago und beobachtete den Hubvorgang auf der Baustelle. Erst war ja alles nur eine Idee und daß sich diese Idee verwirklichen ließ, war damals ein großes Ereignis.

Heinz Oeter erinnert sich: „ Mies wollte unbedingt während das Dach in der halben Höhe war, mit dem Auto runter fahren.“ Lohan: „Als das Dach etwa zwei Meter hoch war, wollte er unbedingt da runter laufen, mal gucken, wie es da aussieht. Ich bin immer mit ihm gegangen, weil er doch auch nicht so gut auf den Beinen war. Er stand dann da mit seinen Krücken und guckte so rum und ich
hab immer aufgepasst, dass ich unter einem Träger stehe, falls das Dach runterkommt“. Oeter: „Ich weiß heute nicht mehr, wie lange er darunter war. Vielleicht eine halbe Stunde, bis er wieder raugegangen ist. Das war für ihn sicher eine Art Glücksgefühl.“.

Mit seiner Theorie vom Haut und Knochenbau war Mies bis an die Grenze dessen gegangen, was an architektonischer Auflösung überhaupt möglich war. Es blieb ihm verwehrt, die Halle als Ergebnis seiner Suche nach der klarsten Struktur vollendet zu sehen.

Ina Weisse- Berlin, August 2016

Extras

Interview mit Ina Weisse
Interview mit Joachim Jäger

Inhaltsübersicht

1 Der Architekt Mies van der Rohe
2 Zerstörung und Neuaufbau Berlins        
3 Ikonische Bauwerke
4 Bau und Restaurierung der Nationalgalerie
5 Schlusswort und Abspann

Credits
Regie: Ina Weisse

Produktionsland: D
Produktionsjahr: 2017
Pressestimmen

“Architektur als Performance – Carte blanche für ein Jahrhundertprojekt!” Süddeutsche Zeitung

“65 spannende Minuten Architekturgeschichte.” www.hhprinzler.de

DVD
nicht mehr lieferbar

Best. Nr.: 1038
ISBN: 978-3-8488-1038-3
EAN: 978-3-8488-1038-3
FSK: Infoprogramm

Länge: 48
Bild: PAL, S/W
Ton: Dolby Stereo
Sprache: Deutsch
Untertitel: englische Untertitel
Regionalcode: codefree

Label: absolut MEDIEN


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